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Viel zu klein fühlte sich der Maulwurf, viel zu klein, zu schwach, allein und blind. Blind für die Schönheit, für die Farben und Formen dieser Welt. Er konnte die Musik nicht sehen, die Musik des Windes, die Musik der Möglichkeiten. Darum versteckte er sich. Tief unten. Da wo die Sonne nicht scheint und ihn nicht verbrennen kann. Da wo der Regen seinen Durst nicht stillen kann und ihn nicht nass macht. Da wo der Wind seine Wunden nicht kühlen kann und ihn nicht wegpusten kann. Er vergrub sich, tief, tiefer und wurde blind, blinder. Es wurde still und stiller um ihn. Er suchte nach Futter, er suchte nach der Quelle, grabt sich seinen Weg. Allein. Klein. Blind


Warum, warum, fragte ihn die kleine Ameise? Warum bist du unten? Allein? Warum bist du allein? Komm mit, mit meiner Familie. Wir sind 2,3, 10, Hunderte, Millionen. Wir sind zusammen, wir sind gemeinsam. Du brauchst nie wieder alleine sein.

Nein, nein. Ich gehöre nicht zu Dir. Ich bin doch anders. Ich will allein sein. Ich will es so. Ich brauche dich nicht.

Warum, warum, fragte der kleine Regenwurm. Warum irrst du unten? Komm mit, wir begleiten dich, wir wollen dich lieb haben.

Nein. Nein. Ich gehöre nicht zu euch. Lieb mich nicht, ich bin doch anders.

Der Maulwurf grub und grub. Nach oben. Nach unten. Wieder nach oben. Da passierte es: der Schnabel erwischte ihn. Groß und dunkel. Der Schnabel des edlen Adlers, stolz auf seine Beute, seine kleine blinde Beute.

Der stolze Adler, der große Adler, mit den dunklen glänzenden Federn. Satt. Gierig.


Du bist meins und ich fresse dich später. Heute nicht. Vielleicht morgen. Vielleicht aber auch nicht. Heute will ich meine Feder putzen. Morgen will ich glänzen. Übermorgen will ich fliegen, höher als heute. Oder vielleicht will ich dich fressen. Ich weiß es nicht.

Was hab ich für eine schöne Beute heute ergattert. Viel besser als die missratene Jagd von gestern. Viel zarter, viel süßer. Viel zahmer. Blind. Klein. Oh wie ich mich freue, oh wie glänzend ich bin. Oh wie stark ich bin. Meine Feder muss ich putzen, meine Feder muss ich putzen, meine Feder muss ich putzen.

Der kleine Maulwurf. Klein und Blind, schwach und vergessen. Was wird aus dir? Was wird aus mir? Wäre ich nur mit den Ameisen gegangen. Wäre ich nur mit den Würmern gegangen. Wäre ich nur unten geblieben.

Der Wind wehte weiter und trocknete die nasse Furcht des Maulwurfs. Die Sonne schien und wärmte die erkaltete Hoffnung des Maulwurfs. Der Regen fiel und reinigte das schlammige Herz des Maulwurfs.

Der Maulwurf. Der kleine blinde Maulwurf konnte hören. Konnte schmecken. Konnte sehen. Der kleine Maulwurf war nicht mehr so klein. Nicht mehr so blind. Der kleine Maulwurf war kein Maulwurf mehr. War er nie gewesen. Wusste er aber nicht. Niemand hatte ihm ins Ohr geflüstert, was er war. Niemand hatte es ihm verraten. Denn niemand wusste es. Niemand wusste wo er herkam. Niemand wusste wo er hinlief. Niemand wusste, ob er fliegen konnte, oder vielleicht schwimmen. Niemand wusste es.

Was bin ich? Wohin? Woher?


Was bist du? Wohin? Woher?


Echo?


Echo.


Plötzlich wurden meine Fragen lauter, meine Schreie größer. Plötzlich fühlte ich eine Wärme. Nicht die der Sonne. Ein Echo.

Plötzlich waren andere Maulwürfe da, die keine Maulwürfe sind. Plötzlich waren andere Stimmen da, die suchten. Was bist du? Eine hungrige Katze? Eine wütende Spinne? Ein sanfter Panda?

Komm. Komm. Du bist nicht mehr allein.


Wir suchen. Dich. Mich. Wir suchen uns. Und vielleicht werden wir ankommen, gemeinsam.

Und vielleicht werden wir vergeben. Dir. Mir.